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BERLIN, 25.04.2022 – Zur heutigen Verurteilung von
Osman Kavala sagt Amke Dietert, Türkei-Expertin bei Amnesty International in Deutschland:
„Die Verurteilung von Osman Kavala ist willkürlich und offenbart, dass rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei nicht zählen. Die Vorwürfe gegen Osman Kavala sind
konstruiert und die Anklagen gegen ihn politisch motiviert. Amnesty International bleibt daher dabei: Osman Kavala muss sofort freigelassen werden.“
Die türkische Justiz geht seit Jahren vollkommen willkürlich gegen den Kulturförderer und Menschenrechtsverteidiger vor. Erst wurde Kavala als angeblicher
Verantwortlicher für die Gezi-Proteste im Sommer 2013 angeklagt. Nachdem er in diesem Verfahren Anfang 2020 freigesprochen wurde, erhob die Staatsanwaltschaft eine
neue Anklage wegen angeblicher Beteiligung an dem Putschversuch 2016 und Spionage.
„Mit dem heutigen Richterspruch sendet die Türkei auch erneut ein deutliches Signal der Missachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Europarates“,
so Dietert. Seit dem vergangenen Dezember läuft ein Vertragsverletzungsverfahren des Ministerkomitees des Europarats gegen die Türkei, weil diese sich weigert, das
bindende Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umzusetzen. Darin wurde der Türkei aufgegeben, Kavala unverzüglich aus der Haft zu
entlassen.
Nach mehr als viereinhalb Jahren Untersuchungshaft drohen Osman Kavala nun noch schlechtere Haftbedingungen: Die Verurteilung zu „erschwerter lebenslanger Haft“
bedeutet Haftvollzug bis zum Tod. Hinzu kommen weitgehende Isolation des Gefangenen, erlaubt wären nur Besuche von Verwandten und eingeschränkter Hofgang.
Neben Kavala wurden sieben weitere Angeklagte im sogenannten Gezi-Park-Prozess wegen „Beihilfe zum versuchten Staatsumsturz“ zu 18 Jahren Haft verurteilt und ihre
Inhaftierung veranlasst. Amnesty International fordert für alle die sofortige und bedingungslose Freilassung.
Hintergrund
Osman Kavala befindet sich seit dem 1. November 2017 in Untersuchungshaft. Ihm war zuerst vorgeworfen worden, die Gezi-Proteste in Istanbul 2013 orchestriert zu
haben. Nachdem er in diesem Prozess Anfang 2020 freigesprochen wurde, folgte die neue Anklage wegen der angeblichen Beteiligung an dem Putschversuch 2016 und
Spionage. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte in beiden Verfahren die sofortige Freilassung Kavalas gefordert: Es fehle an Beweisen, die
Vorwürfe seien nicht neu und die Untersuchungshaft daher ungerechtfertigt.
Im Januar 2021 hob das regionale Berufungsgericht in Istanbul die im Februar 2020 im Gezi-Park-Prozess ergangenen Freisprüche für Osman Kavala und
acht weitere Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft auf. Im Februar 2021 wurde die Anklage gegen Osman Kavala wegen "versuchten Umsturzes der
verfassungsmäßigen Ordnung" und Spionage mit der Gezi-Park-Anklage wegen "versuchten Sturzes der Regierung" zusammengelegt.
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